COPE
Die Neuen leiden an alten Wärtern
Interview mit Adele Vorauer

COPE  Weil ich selbst immer wieder mit Selbstbezeichnungen hadere: Wie ist das eigentlich für dich, dich Schauspielerin zu nennen?

AV  Ich habe bei Vorsprechen total oft das Gefühl, es gibt ein klares Bild davon, wie Schauspieler:innen sind, auch off stage – und das kann ich einfach nicht erfüllen. Ich werde im Alltag total selten für eine Schauspielerin gehalten. Das ist überhaupt nicht schlimm, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich in professionellen Kontexten, wenn ich auf eine Bühne gehe, zu einem Vorsprechen, wenn ich einen Raum betrete – dass ich dann schon etwas sein muss, das ich überhaupt nicht bin. Weil das auch so gesagt wird: »Du musst dich ständig verkaufen.« Das ist das Schauspieler:innen-Äquivalent zu: »Lach doch mal.« Dieses: »Sei doch mal ein bisschen interessanter und lauter und peppiger.« Das konnte ich nie.

COPE  Ursprünglich hatte ich dich gefragt, ob du einen Text über deine Zeit an der Schauspielschule beisteuern möchtest. Du hast gesagt, du würdest gern, hättest aber Probleme damit, tatsächlich konkret etwas aufzuschreiben. Was glaubst du, woran das liegt?

AV  Ich habe so viel aus dieser Zeit wie verdrängt. Das ist zwar ein starkes Wort, aber diese Zeit hat mich wirklich ein Stück weit traumatisiert. Das waren dreieinhalb Jahre Psychoterror. Auf eine Art habe ich das damals gut weggesteckt – und es frustriert mich einfach unendlich, heute darüber nachzudenken, weil es so viele Gefühle hervorruft. Weil: Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Das ist wie das Patriarchat in destillierter Form. Es gab wahnsinnig tolle Momente und Menschen darin, aber es gibt auch innerhalb des Patriarchats tolle Momente und Menschen. Wenn man eine gute Zeit auf der Schauspielschule hatte, neigt man dazu zu denken: »Das war so cool, und es hat mich so abgehärtet, und so soll das auch sein.« Schauspielschulen haben ja auch den Ruf, genau das zu tun. Aber ich fühle mich wie nach einer toxischen Beziehung.

COPE  Warum, glaubst du, sind toxische Systeme so beständig?

AV  Die Schauspielschule ist eine Institution, in die so schwer reinzukommen ist. Das macht es per se schon attraktiv, dort zu sein. Vor allem, wenn man vorher 14 Mal vorsprechen war und es dann geschafft hat. Als 23-jährige Frau habe ich allen dort so viel Weisheit zugesprochen, dass ich mir alles angezogen habe, was mir gesagt wurde. Alles, von über zehn Dozent:innen, und irgendwann war das alles in mir drin und hat natürlich überhaupt nicht zusammengepasst, weil die alle auch untereinander Beef haben. Es ist total unübersichtlich, und das ist das Kluge an diesem System. Am Ende ist der Trick immer, es dir selbst in die Schuhe zu schieben. Darüber hinaus wird immer auf »die Kunst« oder einen edukativen Auftrag verwiesen. Entweder heißt es: »So ist es, wenn man Kunst macht, da muss man eben leiden, guck mal Werther und so«. Oder: »Wir wissen, was gut für dich ist, weil wir eben schon weiter sind«. DAS Wort an der Schauspielschule ist Durchlässigkeit. »Du musst durchlässig sein.« Ich war nicht durchlässig genug. Weil ich oft Nein gesagt habe. Auch mein Körper hat Nein gesagt – und das hat man gesehen.

COPE  Also Durchlässigkeit als Synonym für universale Verfügbarkeit? Durchlässigkeit bedeutet, dass die Leute, die lehren und deren Stücke gespielt werden, ungefiltert durch dich durchlaufen dürfen müssen, ohne dass du Einspruch gegen die Prämissen erhebst?

AV  Genau. Bis zum Ende habe ich mir eingeredet, dass das cool ist. Vieles war ja auch cool – aber irgendwann hat es bei mir knack gemacht und ich hatte die ganze Zeit Heulattacken, weil ich den Druck nicht mehr ausgehalten habe. Und dann, wenn es zum Beispiel im Einzelunterricht aus mir rausgebrochen ist, weil ich nicht mehr unter Beobachtung durch die anderen stand, wurde mir gesagt, ich wäre nicht stark genug, um Schauspielerin zu sein, und ich würde es nie zu etwas bringen, wenn ich so weitermache. Das ist Teil einer perfiden Doppelbotschaft: Sei durchlässig, aber bleib jenseits der Bühne unverwundbar. Es sollte eben nur kanalisiert werden. Und dann wollen Leute in den Proben anfangen, mich auf der Bühne auszuziehen, und sagen dazu nur: »Entspann dich mal.«

© Lara Loeser

COPE  Was ich krass finde, ist das Abwälzen der Verantwortung beziehungsweise der Verweis auf »die Kunst« als etwas vermeintlich Wildes, Großes, Externes – für das gelitten werden muss. Es klingt aber viel mehr danach, als würden die Lehrenden verlangen: »Leide für mich

AV  Es gibt eine schwarze Pädagogik an der Schauspielschule. Viele, die anfangen, können noch nicht gut vor Leuten locker sein oder haben es verlernt. Das wird wie aus den Leuten rausgeprügelt, diese Unsicherheit. Die Maßnahme kann nicht nur sein, das Ergebnis zu verlangen. Man muss auch Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Leute sich tatsächlich entspannen können. Ich liebe es, zu proben, und ich liebe es, zu spielen, aber die ganze Prämisse, unter der Theater anscheinend läuft, ist kaputt. Bei meinem ersten Stück bin ich absichtlich von meinem Schauspiellehrer als Prostituierte besetzt worden, damit ich mich entspanne und »lerne, wie es ist, sinnlich zu sein«. Und danach hat er mir gesagt, das hätte ich nicht geschafft. Ein anderes Mal meinte er zu mir, ich solle nicht immer alle Frauen so klug spielen. Eine Kommilitonin und ich hatten eine Szene aus einem unsäglichen Stück, »Bunbury« von Oscar Wilde, in der die Frauen – surprise! – wegen eines Mannes eifersüchtig aufeinander sind. Wir mussten auf einer langen Meetingtafel auf allen vieren aufeinander zukriechen und uns in der Mitte treffen. Da waren wir dann, ganz nah voreinander und haben unseren Text gesagt, und am Ende meinte unser Lehrer: »Und jetzt … küsst euch.« Und wir so: »Äh.« Ich war zu dem Zeitpunkt schon ziemlich desillusioniert, was diesen Lehrer anging, und habe ihn gefragt, warum. Er war total genervt, weil ich ausgestiegen bin, und meinte nur: »Warum, warum, du fragst immer, warum. Weil’s lustig ist!« Das sagt er und hält es für eine legitime Regieanweisung. So was ist so sehr die Regel, keineswegs die Ausnahme.

COPE  Ein bisschen erinnert mich das an die sexualökonomische Theorie. Die ja sicherlich nicht unangreifbar ist, aber im Ansatz nicht unspannend. Kristen Ghodsee hat sich zuletzt in »Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben« damit auseinandergesetzt. Da heißt es, dass die Männer den Frauen in kapitalistischen Gesellschaften Geld und monetäre Anreize anbieten, und Frauen, im Tausch dafür, Sex. Sowohl in partnerschaftlichen Konstrukten als auch, wenn es etwa um Beförderungen oder Empfehlungen geht. Die Körper der Frauen werden damit zum Tauschwert, zur Ware. Ich finde, dieses Diktat von »Durchlässigkeit« im Tausch gegen die Aussicht auf Erfolg ist unangenehm nah dran an diesem Bild – nicht zuletzt, weil das Theater so männlich dominiert ist.

AV  Zumal das, was da theoretisch zum Erfolg führen soll, nie richtig Thema wird. Man wird an einem unsichtbaren Maßstab gemessen. Es wird nie wirklich gesagt, was man zu tun hat. Also rennt man einem Bild nach, ohne genau zu wissen, wie das aussieht – wird aber bei der Stange gehalten, weil die Lehrenden einem suggerieren, dass sie Bescheid wissen. Und das ist vollkommener Bullshit. Bis auf von einer Professorin habe ich von niemandem gescheites Feedback bekommen, mit dem ich hätte arbeiten können. Sie war die Einzige, die mir immer direkt während der Proben Hinweise gegeben hat. Und das ist ja der Sinn der Sache! Mein Dramaturgielehrer hat einen immer lange angeguckt und dann Sachen gesagt wie: »Du verschwendest deine Zeit.« Er hatte nicht das Bedürfnis, das genauer zu erklären, und es war ihm egal, ob man es versteht. Das ist irgendwie deren Ding. Das Beste war die Frage, von meinem Schauspiellehrer, warum ich mir nicht die Haare wachsen lasse: »Pflegst du diesen androgynen Look mit Absicht?« Und ich dachte: Vielleicht reden wir einfach über das Stück, das ich gerade gespielt habe. Auch wurde thematisiert, dass ich immer so weite Hosen anhätte. Ich hätte ja schöne Beine, die müsse man doch auch zeigen.

COPE  Du hast es ja selbst schon gesagt: Das Patriarchat in destillierter Form …

AV  Ich habe es mehrmals gegenüber anderen Personen angedeutet oder angesprochen, dass es mir nicht gut geht – entweder mit gewissen Menschen, nein: Männern, oder in bestimmten Situationen. Aber niemand macht irgendwas. Ich glaube, deswegen ist das alles so erfolgreich. Da kommt dann: »Der ist aus Russland und hat ein anderes Frauenbild.« Oder: »Wir haben’s auch schon versucht, aber den kann man nicht mehr ändern.« Das ist bis zur Dekanin gegangen, mit der ich darüber gesprochen habe. Aber auch im Kleinen, auch untereinander, gibt es immer ein extremes: »Und wehe, du petzt.« Es ist krass, welche Dynamiken sich innerhalb solcher Schulen entwickeln. Selbst diejenigen, die politisch interessiert sind, romantisieren diese alten Säcke und stellen die Rollenbilder nicht infrage. Ich kann es ihnen nicht mal übel nehmen, weil ich das selbst bis zu einem gewissen Grad getan habe. Viele Leute, die Regie studieren, wollen mit Schauspielschüler:innen keine Projekte machen, weil denen etwas beigebracht wird, das antiquiert ist: Sie werden zu extrem selbstbewussten, aber demütigen Schauspieler:innen erzogen. Ein bisschen bleibt bei mir am Ende ein Beigeschmack zurück: Ich habe versagt; ich habe eigentlich nichts gelernt. Das ist mit Abstand das Schwerste.

COPE  Solche eingerosteten Dynamiken werden ja gerne legitimiert durch das alte: »Was dich nicht umbringt …« Glaubst du, dass an diesem Mythos was dran ist: dass Menschen besser spielen, weil sie während der Ausbildung Härte absorbieren mussten?

AV  Nein. Überhaupt gar nicht, null. Das ist ein Bild von Theater und von Kunst generell, das ich so langweilig finde. Ich sage nicht, dass Leid nicht Kreativität befördern kann. Aber: Life is gonna throw shit at you. Das Leben hat genug Leid parat. Das künstlich zu erzeugen, ist so beschissen. Die pädagogische Aufgabe der Schauspielschule müsste eigentlich sein, den Leuten zu helfen, ihre Kreativität zu finden. Wie auch immer die funktioniert. Ich glaube schon, dass es Empathie fördern kann, wenn man sich der Scheiße öffnet, die einem passiert ist. Aber das zum Leitfaden einer Ausbildung zu machen, ist total toxisch und gefährlich. Und faul, einfach faul. Dieses »Ich bin da durchgegangen, und jetzt bin ich stärker“ ist einfach ein coping mechanism, glaube ich. Man hat mir oft gesagt, ich solle mir eine dickere Haut zulegen. Erstens: Als könnte ich das so einfach. Zweitens möchte ich das überhaupt nicht. Ich habe ein ganz gutes Gespür dafür, wann Dinge, die mir passieren, nicht okay sind. Und ich will nicht, dass mir diese Dinge egaler werden.

COPE  Das ist wohl auch Teil der Macht solcher Systeme. Dass sie das Gefühl vermitteln, sie wären alternativlos. Traditionen respektieren oder scheitern. Aber du lebst ja selbst den Gegenbeweis.

AV  Frag mich nie danach, ob ich nicht eigentlich etwas anderes machen will – da gehe ich sofort an die Decke. Weil es das Schlimmste für mich wäre, ohne Proben oder die Aussicht aufs Spielen zu leben. Ich möchte es nur nicht zu egal welchen Bedingungen.

Das Interview führte Lasse Eskold Nehren


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Adele Vorauer

ist Schauspielerin, in Österreich geboren und in Hamburg gelandet. Sie verbittet sich das Patriarchat, Autorität und von Wandern zu sprechen, wenn keine Berge involviert sind.

@adelesophie


Adele Vorauer

ist Schauspielerin, in Österreich geboren und in Hamburg gelandet. Sie verbittet sich das Patriarchat, Autorität und von Wandern zu sprechen, wenn keine Berge involviert sind.

@adelesophie