COPE
Wir haben mit dem Kapitalismus gevögelt und unseren Feminismus verkauft. – Ein Schmähtext in schwesterlicher Selbstkritik
von Simin Jawabreh

Beim Coachella-Festival präsentiert sich Beyoncé vor einem FEMINIST-Schriftzug, Miley und Taylor preisen ihn ebenso, und Dior-Models erklimmen den Laufsteg, während ihre T-Shirts »Sisterhood is global« verkünden.1 Feminismus ist auf der Tagesordnung und nicht mehr länger Schreckenswort. Haben wir es jetzt geschafft?

Die Frauen der Generation Y gelten als Alphamädchen, der neue Feminismus als hip und stressfrei:
– Wenn du dich rasieren willst, dann mach das! Das ist auch feministisch! Du willst dich nicht rasieren? Feministisch!
Du willst heute Stöckelschuhe tragen? Feministisch! Du willst keine Stöckelschuhe tragen? Feministisch!
Dein Bauch gehört dir! – Wer soll dich also daran hindern, dir das Fett abzusaugen, wenn dU eS sO wiLlsT!
ALleS FeMiNiStiScH!
Wir haben keinen Begriff mehr von Machtstrukturen. Jede Entscheidung, die gefällt wird, gilt als autonom gefällt (und nicht sozial, durch Unterdrückungsverhältnisse strukturiert) und damit als – feministisch.2
Man könnte meinen, die bürgerliche weiß-hetero-cis-Frau ist heutzutage von allem empowered, was sie tut. Vor allem von den Dingen, die sie kauft.

Kaufe diese Hautcreme! – Weil du es dir wert bist.
Nimm dich selbst ernst! – Und pflege Haut und Haare deswegen in weiß-heterosexueller Manier.3
Unsere Befreiung wird in differenzierten Kosmetikangeboten ausgetragen und verkommt zu individualisierten Konsumentscheidungen, jede Konsumentscheidung wird dann wieder als politisches Statement ausgefochten.

Fühle dich selbst schön und liebe dich! – Sagt sie mir grinsend mit Smoothie in der Hand, während sich ihr weiß-schlanker Körper in uNvorTeilHaFter Pose rekelt, um mich zu ermutigen, zu – ja, was? Nicht immer gerade zu sitzen?
Ihr weiß-schlanker Körper, der wegen der gestellten Rückenkrümmung Bauchfalten wirft, ist am Ende des Tages immer noch ein weiß- schlanker Körper und wird gern gesehen.

Aber Häschtäg FemIniSt.

Wir haben vergessen, wie Schönheitsideale als historische Machtkonstrukte gewachsen sind, die Unterdrückungsverhältnisse perpetuieren, und dehnen sie lediglich aus, anstatt uns gegen sie zu stellen. Neuerdings im Repertoire: die Inszenierung einer Hyper-Authentizität (kein Paradox für Generation Y!), die im Begriff UnVoRtEiLHaFt Ausdruck finden soll – was die Geschichte noch stressiger macht, jetzt haben wir sogar Bilder, wie wir beim Chips-Essen auszusehen haben, sexy Bikinibilder waren wohl nicht genug, da war die Inszenierung wenigstens noch klar erkennbar. Das Gebot der Verwertbarkeit annektiert nun alle Lebensbereiche und tut dies unter dem Deckmantel der Spontaneität.
Häschtäg AllE FrAuEn sInD SchÖn, Häschtäg ImMeR uNd ÜbErAlL. Häshtag JuSt WoKe Up LiKe tHiS.
AlLe fRaUeN, die sich als Frauen fühlen, sind aber erst mal Frauen und müssen nicht als Ziel haben, schön zu sein, vor allem nicht in jeder erdenklichen Lebenssituation.

nd welchen Filter trägt deine Unterdrückung heute?

Wie woke ist deine Identität?

Der Feministin von heute sind Ungleichheiten zwischen Geschlechtern durchaus bewusst – und die findet sie auch gar nicht cool – sie behandelt sie lediglich als individuelle Entscheidung, aus der es einfach auszubrechen! gilt. Sie zum Beispiel lässt sich ja nichts mehr sagen. Und sieht das als Chance zu wachsen!
Sie macht sich selbst zum Unternehmen, in das sie fleißig investiert. Dabei geht es ihr vor allem um eins:
sich selbst – eine junge, gut ausgebildete, weiße, heterosexuelle Cis-Frau, die eine gleichberechtigte bürgerliche Elternschaft anvisiert.4 Unsere Kritik ist zu individualisierten Erfolgsgeschichten verkommen.
Gib immer dein BestesAuch du kannst es schaffen! – Auf wessen Rücken noch mal?
Sisterhood is global, sagen unsere T-Shirts. Wer näht die noch mal?

Wir sind sichtbar. So quasi. Überall auf Bahnhöfen lächeln uns Frauen entgegen und motivieren, offen zu sein, leidenschaftlich zu sein und für sich selbst einzutreten. Soziales Engagement ist modern, für sich Eintreten ist modern, aber zU ExtRem, wer seine Unterdrückung im System verortet sieht –

Wir setzen uns ein, weil MaN mUsS JA iMmEr Was MacHen, WeR NiChTs Macht, IsT Faul und ein schlechter Mensch. Wir reden uns ein, nur wenn wir produktiv sind, sind wir von Wert. Entspannung ist okay, solange sie dafür da ist, uns arbeitsfähiger zu machen. UnSeR Büro MacHt ZuSammEn Yogaa, uNd jEtzT ArbEitE Ich so ViEl KonzeNtriertEr!!

Feminist:innen heute wollen Anerkennung auf dem Arbeitsmarkt, Anerkennung in ihren Hetero-mono-Beziehungen, wollen mitmachen, konkurrieren, wollen alle das Gleiche, und das heißt in erster Linie: genauso viel verdienen. Genauso Chef sein. Auch einen Platz am Tisch! Auch ein Stück vom Kuchen!

Genauso
ausbeuten
Den Haushalt muss ich nicht mehr machen, den macht jetzt Aische, die ist ja auch SoOo LiEb.

Die Forderung nach Anerkennung richtet sich an das System unserer Unterdrückung selbst. Wurzeln der Unterdrückung werden nicht mehr in der materiell-ideologischen Trennung von Produktions- und Reproduktionssphäre gesehen, stattdessen wollen alle Teil der Produktionssphäre sein und die so richtig rocken.

GiRl bOsSes Yeah!

Der Traum der Frauenemanzipation wurde an den Zug der Kapitalakkumulation gespannt, und wir haben ihn so weit fahren lassen, dass sogar die Weltbank heute ungeniert mit »Womenomics« als »smart oeconomics« wirbt

– and you better be smart, GiRl! Tschuu Tschuu!

Mit dem Verlust eines kollektiven Subjekts haben wir die Frage nach kollektiver Verantwortung obsolet werden lassen. Mit der Akzentverschiebung von sozialer Gerechtigkeit zu Repräsentation haben wir den Klassenkampf liegen lassen. Gegen die Vereinnahmung eines einst emanzipatorischen Vokabulars in den Konsummarkt haben wir uns nicht genug gewehrt. Wir haben unsere Kritik nicht an neu transformierte ökonomische Gegebenheiten durch den Neoliberalismus angepasst, wir haben uns von ihm vereinnahmen lassen. Wir haben die scheiß Hausarbeit nicht aufgeteilt, wir haben sie an andere Frauen der Welt ausgelagert. Wir Feminist:innen haben uns verkauft. Haben unsere Überzeugungen verkauft, haben sie in den Auftrag der Kapitalmaschinerie gestellt und fleißig mit ihr gevögelt,

ViEllEicht GiBt SiE jA wAs aB,
hM?

Die Affäre war weniger befriedigend, dafür ist sie nun umso ideologischer.

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1 Siehe Körber, Martha-Lotta (2017): Ambivalenzen in der Auseinandersetzung mit Popfeminismus, S.9
2 Siehe Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene (2010): »Ambivalenzen der Sichtbarkeit« – Einleitung deutsche Ausgabe. In: McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Hrsg.: Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene
3 Siehe Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene (2010): »Ambivalenzen der Sichtbarkeit«– Einleitung deutsche Ausgabe. In: McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes, Hrsg.: Hark, Sabine; Villa, Paula-Irene, S.12
4 Hark, Sabine (2008): »Die Scham ist vorbei. Feminismus Reloaded.« In: FEMINA POLITICA 2/2008, S.113


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Simin Jawabreh

ist Politikwissenschaftlerin, Aktivistin und Bildungsarbeiterin. Als professionelle Krawallbarbie lebt sie in Berlin, schreibt, referiert und erklärt auch auf Instagram, warum wir im falschen System leben, welches das gerechte wäre und was wir dafür tun müssen.



Simin Jawabreh

ist Politikwissenschaftlerin, Aktivistin und Bildungsarbeiterin. Als professionelle Krawallbarbie lebt sie in Berlin, schreibt, referiert und erklärt auch auf Instagram, warum wir im falschen System leben, welches das gerechte wäre und was wir dafür tun müssen.





















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Träumst du noch von oben?
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– ƒauna: oben